Rauklands Sohn
Rauklands Blut
Rauklands Sohn

Leseprobe "Rauklands Schwert"

 

"Es gibt keine gefährlichere Waffe als den Willen."
(Alte Weisheit)

 

 

 

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Vorsicht, die Leseprobe enthält einen Spoiler! Wer Band 2 noch nicht gelesen hat, sollte lieber nicht weiterlesen ;)

 

Kapitel 1

 

  „Hier hinein ... Jasimo, geh beiseite.“
  „Allmächtiger - Ronan! Lebt der Junge? Lebt er?“
  „Geh beiseite, Jasimo!“
  Heißer Wind strich über Ronans Gesicht. Der Himmel war so gleißend hell, dass seine Augen schmerzten. Sonnenlicht fächerte durch Staub, aufgewirbelt von Pferdehufen und Abertausend Stiefeln. In der gelben Wolke blitzten Klingen und Kettenharnische. Ronans Kopf fiel gegen Zhodans Brust, rauer Zeltstoff streifte sein Gesicht. Im Zeltinneren stand die Hitze. Der Wind drückte machtvoll gegen die Seitenwände. Schatten krochen darüber, unförmige Schatten von vorbeijagenden Pferden und Männern, deren Lanzen in den Himmel reichten.
  Brüllende Schatten.
  „Vorsichtig.“
  Ronans Hinterkopf berührte raues Leinen. Es roch nach heißer Haut, nach Pferd und nach Blut - nach seinem Blut.
  Er konnte sie immer noch über sich sehen, die dunkle Pfeilwolke, die schwirrend vom Himmel herabgestürzt kam. Urplötzlich war die Luft erfüllt gewesen von Schreien und dem Stampfen von Hufen. Um ihn herum bäumten sich Pferde auf, stürzten und begruben ihre Reiter unter sich. Dann schlug ein Pfeil in seine Seite. Das Nächste, was er wusste, war, dass Zhodan an seine Seite galoppierte und das Pferd, auf dessen Hals er hing, zum Stehen brachte.
  „Halt still, Ronan. Halt still!“
  Zhodans Hände drehten ihn auf die Seite, um die Brigantine zu öffnen, die in seinem Rücken verschnallt war. Ronan biss sich auf die Lippen, als Jasimo die Befestigungsriemen der mit vernieteten Metallplättchen besetzten Jacke löste. Seine Hände krallten sich um den Pfeilschaft, der sich bei jeder Bewegung in ihn bohrte. Das Zelt verschwamm.
  „Holt den Feldscher“, hörte er Zhodans Stimme. „Und bringt Wasser.“
  Schritte entfernten sich. Das Zelt duckte sich unter den heulenden Windstößen. Ein Zweig kratzte an der Seitenwand entlang und flog über das Dach davon. Weit entfernt erklangen Trommelschläge, dazwischen Rufe und Schreie. Jeder Atemzug tat weh. Dabei würde das, was jetzt kam, viel schlimmer sein. Ein heiseres Schluchzen kam aus seiner Kehle: ein kleiner, verzweifelter Laut.
  Zhodans Hand berührte seine Schulter. „Sieh mich an.“
  Zwischen seinen Wimpern hindurch spähte Ronan in Zhodans eisgraue Augen. Der Mann über ihm hatte ihn gelehrt zu reiten, zu kämpfen und eine Schlacht zu schlagen. Nicht einmal den ersten Angriff hatte er überstanden.
  „Du weißt, was du tun musst“, sagte Zhodan.
  Ronan presste die Finger um den Pfeilschaft und kniff die Augen zusammen, damit Zhodan nicht hineinsehen konnte. Er zwang sich langsam ein und aus zu atmen, wie Zhodan es ihn gelehrt hatte, aber er schaffte es nicht. In seinem Hals stieg ein Brennen auf. Er versuchte es hinunter zu schlucken, doch das Schnalzen in seiner Kehle klang so laut, dass er erschrocken die Luft anhielt.
  Eine raue Hand streichelte seine Wange. Einen verwunderten Augenblick lang glaubte er, die Hand gehöre seinem Lehrmeister, doch dann hörte er dessen Stimme von der anderen Seite des Zeltes.
  „Lass ihn!“, sagte Zhodan scharf.
  „Er ist noch ein Kind“, grollte Jasimo.
  „Lass ihn zur Ruhe kommen.“
  „Ein Pfeil hat ihn getroffen, Zhodan! Und du stehst da, als wäre er irgendein dahergelaufener Bengel, den du nicht einmal mit Namen kennst!“
  „Ronan kommt zurecht.“
  Die warme, beruhigende Hand verschwand von Ronans Wange. Er blinzelte nach oben. Über ihm zeigte Jasimos ausgestreckter Arm auf Zhodan.
  „Er ist gerade mal vierzehn Jahre alt!“, fuhr der ältere Mann auf.   „Deine Aufgabe ist es, ihn zu beschützen! Du hättest auf ihn achtgeben müssen, anstatt ihn in diesem Pulk reiten zu lassen!“
  Zhodans Gesicht wurde hart. „Meine Aufgabe ist es, Ronan auf sein späteres Leben vorzubereiten. Er ist ein Königssohn. Sein Leben wird auch später nicht einfach sein.“
  „Er ist ein halbes Kind!“
  „Ronan ist kein Kind mehr.“
  „Nicht einmal als er fünf Jahre alt war, hast du ihn wie ein Kind behandelt!“, schnaubte Jasimo. „Alles, was du je im Kopf hattest, ist seine Ausbildung! Das verfluchte Schwert ...“
  Die Zeltwand wurde zurückgeschlagen. Ein fremder Mann trat ein. Er war nicht in einen Kettenharnisch gekleidet, sondern trug eine graue Tunika, deren Vorderseite dunkelfeucht glänzte. Die Augen des Mannes durchmaßen kurz den Raum, dann blieb sein Blick an Ronan hängen.
  „Azels Sohn?“, fragte der Feldscher.
  Ronan sah Zhodan nicken.
  Der Fremde setzte einen Sack auf dem Boden ab. Es klimperte leise und unheilvoll darin: Instrumente, die darauf warteten, sich in sein Fleisch zu bohren. Der Mann schob einen Arm in den Sack und hob eiserne Haken, Zangen und Lanzetten heraus. Ronan wollte wegsehen, aber er konnte es nicht.
  Zhodan trat zwischen ihn und den Fremden, seine Miene undurchdringlich. Sein Blick flackerte zu Jasimo herüber, dann, ohne ein Wort, streckte Zhodan den Arm aus und legte eine Hand auf Ronans Bauch.
  Es war eine Geste aus Kindertagen, eine liebevoll bewahrte Erinnerung: Zhodan, der ihn lehrte zu atmen. Nicht so schnell, wie er es jetzt tat, sondern tief und ruhig, bis sein Körper eins wurde mit der warmen Handfläche und nichts in ihm war außer schwebender Stille und der Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Augenlidern. In der Schwärze schimmerte das Licht einer Kerzenflamme. Da waren das dunklere Leuchten ganz am Ende des Dochtes und das rauchzarte Gespinst aus durchscheinendem Blau. Da waren winzige Rußteilchen, die durch das Wachs krochen, als würde eine unsichtbare Kraft sie zur Mitte ziehen ...
  Ein greller Schmerz durchzuckte Ronan. Sein Leib bog sich im Griff des Fremden und der Pfeil brannte als würde ein glühender Draht in seine Seite gedrückt.
  Zhodans Hand war fort.
  „Widerhaken“, sagte der Fremde gleichgültig.
  Heiße Furcht flutete Ronans Körper. Er biss sich auf die Zunge, um kein Geräusch von sich zu geben. Pfeile mit Widerhaken konnten nicht einfach herausgezogen werden. Man schlug sie an der anderen Seite heraus, oder aber es wurde ein Hohleisen über den Pfeil gedrückt, bis dessen Widerhaken im Inneren lagen. Danach wurde beides zusammen herausgezogen.
  „Holt Männer, um ihn zu halten“, befahl der Fremde. „Zwei weitere sollten genügen. Zhodan, Jasimo! Nehmt seine Arme und haltet ihn ruhig.“
  Ein Schluchzen stieg in Ronans Kehle. Er umklammerte Zhodans Hand und schmiegte die Wange an den Ärmelstoff, aber sein Lehrmeister schlüpfte mit Leichtigkeit aus seinem Griff. Er und Jasimo hielten seine Arme, auf seinen Beinen hockte das Gewicht von zwei weiteren Männern. Der Feldscher beugte sich über ihn. Das mattglänzende Hohleisen quetschte die Gänsefedern zusammen, glitt tiefer und schabte über den blutbefleckten Schaft. Ronan versuchte Zhodans Blick zu erhaschen, aber sein Lehrmeister sah ihn nicht an.
  „Du bist ein tapferer Junge“, flüsterte Jasimo in sein Ohr. „Es wird schnell gehen.“
  Ronan presste so fest die Lippen aufeinander, dass er Blut schmeckte. Er spürte einen furchtbaren Ruck und dann zerbarst sein Körper mit einem Schmerz, der so entsetzlich war, dass er den Kopf in den Nacken warf und schrie, schrie, schrie ...

 

 

Kapitel 2

 

  Ronan fuhr in die Senkrechte, den Schrei noch in seiner Kehle. Die Hände dorthin gepresst, wo sich vor sechs Jahren die Pfeilspitze in ihn gebohrt hatte, keuchte er in die Dunkelheit. Nur langsam verklangen das Getrappel der Hufe, die Rufe und die Hitze. Aus der Schwärze formte sich ein Raum um ihn: eine niedrige Decke, der Schatten des Torfofens, ein weiteres Bett und ein Stuhl.
  Ronan hob die Handflächen vor sein Gesicht und atmete Wärme hinein. In seinem Kopf verhallte das Echo des Schreis, bis nichts blieb außer dem Wind, der um die Burgmauern heulte und den Wellen, die gegen den Felsengrat donnerten.
  Nicht Raukland, sondern Lannoch.
  Er schauderte in der eisigen Luft. Der Traum war noch ganz nah: die Hitze, die unter dem Zelt gestanden hatte, der gelbe, flirrende Staub. Über Wochen war der Traum dort abgebrochen, wo Zhodan ihn in das Zelt schaffte, und manchmal bereits auf dem Schlachtfeld. Erst seit ein paar Tagen erwachte er dort, wo er sich die Seele aus dem Leib schrie, nass geschwitzt und keuchend, ohne zu wissen, ob nur der Junge im Zelt geschrien hatte oder auch er selbst. Jedes Mal hockte er dann wie jetzt auf dem Bett, die herabgefallene Decke auf den Knien und wartete darauf, dass jemand die Tür aufriss. Liam vielleicht. Oder Beth. Einmal hatte er von Liam wissen wollen, ob er in der Nacht Schreie gehört hatte. Aber Liam, der direkt neben ihm wohnte, hatte gefragt, was für Schreie und die Stirn gerunzelt, als Ronan statt einer Antwort den Kopf schüttelte.
  Die Hütte bebte unter einer machtvollen Bö. Nach einem endlosen, dunklen Winter waren die Tage Mitte März wieder so lang wie die Nächte, doch der Wind war immer noch eisig und über das Hochplateau wirbelten Schneeflocken. Ronan schlang die Arme um die Knie und verkroch sich tiefer unter drei Lagen Wolle. Doch gegen die Kälte in seinem Inneren halfen weder Decken noch Torföfen.
  Raukland. Ein Albtraum, der ihn aus dem Schlaf riss. Achtzehn Jahre seines Lebens hatte er im Glauben verbracht Ronan Carinn zu sein; der Sohn des Königs. Dann musste er erfahren, dass nicht etwa Azel Carinn sein Vater war, sondern Zhodan, sein Lehrmeister. Zhodan hatte Azels Frau Shea geschwängert und die Zwillinge, die sie gebar, als dessen Kinder ausgegeben. Denn hätte Azel die Wahrheit erfahren, wären sie alle umgekommen: Zhodan, Shea, Kiara und er.
  Es war Azels und Sheas wirklicher Sohn gewesen, der Zhodans Vaterschaft ans Licht gebracht hatte: Broghan. Zhodan hatte den Jungen verschwinden lassen, als dieser vier Jahre alt war. Weit entfernt von Fehdorn Ghan wuchs er unerkannt als Waisenjunge auf. Doch als Erwachsener löste er das Rätsel seiner Herkunft: Broghan war Azels einziger Sohn! Er, Ronan, hingegen war nicht Ronan Carinn, sondern Ronan Garouth. Sein wortkarger Lehrmeister, der ihn seit seinem fünften Lebensjahr unterrichtete, war sein leiblicher Vater.
  Nicht lange, und Bilder zogen herauf. Es waren immer dieselben: Broghan, der den Kopf in den Nacken warf und lachte, voller wilder Freude über den Thron, den ihm niemand mehr streitig machen konnte. Zhodan, der ihm in der Dunkelheit gegenüber- stand und ihm weismachen wollte, er hätte Shea geliebt. Kiara, seine Zwillingsschwester, die ruhelos durch das Nordmeer segelte, seitdem er ihr Betteln, zurück nach Raukland zu kommen, um Broghan mit einem Bauernaufstand zu stürzen, mit einem bitteren Lachen abgetan hatte. Gismo, sein treuer Hengst, der auf Raukland zurückgeblieben war.
  Und da war Hannah. Hannah, die blinde Prinzessin Angents, die durch seine Schuld in Broghans Gewalt geraten war. Statt der Heirat mit ihm, die Raukland und Angent für immer friedlich geeint hätte, waren sie und ihr Vater Bellingor zu Broghans Gefangenen geworden. Vielleicht waren sie tot. Aber vielleicht - und dieser Gedanke war quälender als alle anderen - hatte Broghan Hannah auch zur Ehe gezwungen und teilte jede Nacht das Bett mit ihr.
  Tief atmete Ronan die kalte Luft ein. Sein Blick fand den bauchigen Krug neben dem Bett. Seit Tagen stand er schon dort, unberührt. Sehr langsam streckte Ronan einen Arm hinaus in die Kälte, hob das Gefäß auf sein Bett und zog den Stopfen heraus. Der beißende Geruch von Krähenbeerenschnaps stieg ihm in die Nase. Er hob den Krug, leerte ihn in einem Zug und stieß zischend die Luft aus. Das scharfe Brennen kroch seinen Hals hinunter und fiel hinab in seinen Magen. Von seiner Mitte her breitete sich wohlige Wärme aus.
  Nicht lange, und das leere Gefäß polterte zu Boden und rollte unter das Bett.

 

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